Der Geldtransporter-Fall
Schuldrecht BT, Grenzen der haftungsbegründenden Kausalität, Schadensersatz |
Relevanz
Die Voraussetzungen des § 823 I BGB sind sehr examensrelevant. Gerade die haftungsausfüllende Kausalität wird auch im Grundstudium oft in Klausuren abgeprüft. Anhand dieses Falles kann man sich diese Voraussetzung noch einmal ins Gedächtnis rufen.
Sachverhalt
Der Unfallverursacher (K) fährt in seinem Auto auf einer Landstraße und setzt zu einem Überholmanöver an. Er kollidiert mit einem Geldtransporter der H, welcher sich überschlägt und im Straßengraben landet. Die sich in dem Geldtransporter befindenden Sicherheitsbeamten sind von dem Unfall verletzt worden und benommen, können sich nach einigen Minuten jedoch aus dem Fahrzeug zwängen. K hingegen verstirbt noch am Unfallort. Der Geldtransporter wird auf einen Polizeihof gebracht. Einen Tag später wird festgestellt, dass Geldkoffer mit insgesamt 257.000DM fehlen. Es kann nicht aufgeklärt werden, ob das Geld an der Unfallstelle oder auf dem Polizeihof entwendet wurde.
Die Versicherung der H verlangt Schadensersatz von der Versicherung des K.
Problem
Kann eine Kausalität angenommen werden?
Ausgangspunkt ist die „condicio sine qua non-Formel“, nach der der Unfallverursacher K kausal für den Schaden ist. Diese Kausalität wird durch die Adäquanztheorie eingeschränkt, nach der der eingetretene Schaden vorhersehbar sein muss. Ebenfalls eingeschränkt wird die Kausalität durch den Schutzzweck der Norm. Hier stellt man die Frage, ob die anspruchsbegründende Norm vor Schäden dieser Art schützen soll oder nicht.
Eine Ansicht (Berufungsgericht):
Auch wenn ein Schaden bei naturwissenschaftlicher Betrachtung in kausalem Zusammenhang mit der Schädigungshandlung steht, sei zu beachten, dass durch unsachgemäßes und ungewöhnliches Verhalten einer anderen Person, die Grenze der Zurechnung überschritten sein muss. Relevant sei das Verhalten des Erstschädigers bis zu dem Punkt, an dem der Zweiteingriff von ungewöhnlichem Verhalten geprägt ist. Ab dann könne man keine haftungsausfüllenden Folgeschäden mehr zu dem Verhalten des Erstschädigers zurechnen. Wenn das Risiko des Ersteingriffs vielmehr schon abgeklungen ist, könne deshalb nur ein „zufälliger“ Zusammenhang bestehen, der dem Erstschädiger billigerweise nicht zurechenbar ist.
Nach dieser Ansicht ist das Risiko des Unfalles bereits abgeklungen und der Diebstahl der Geldkoffer kann dem K nicht mehr zugerechnet werden.
Andere Ansicht (BGH):
Der Diebstahl wurde möglich durch den Unfall. Die erste Ansicht verkennt vielmehr, dass durch die geöffnete Fahrertür der Schutz des Geldtransporters verloren gegangen ist und somit grundsätzlich die Möglichkeit vorhanden war, die Koffer zu entwenden. Ebenfalls konnte das Bewachungspersonal aufgrund des benommenen Zustandes nicht mehr seiner Bewachungspflicht nachkommen. Somit hat sich aufgrund des von K herbeigeführten Unfalles ein Schadensrisiko verwirklicht. Auch sei nicht völlig ungewöhnlich, dass geöffnete Geldtransporterfahrzeuge ein Zugriffsanreiz für Dritte bieten. Etwas anderes gilt jedoch, wenn sich der Geldtransporter bereits in sicherer hoheitlicher Verwahrung befindet.
Nach dieser Ansicht hat der Unfall zurechenbar zu dem Diebstahl der Geldkoffer geführt. Die Kausalität ist anzunehmen.
Entscheidung
BGH Urt. v. 10.12.1996 – VI ZR 14/96 (NJW 1997, 865 ff.).