
Trierer Weinversteigerung – Willenserklärung ohne Erklärungsbewusstsein
BGB AT / Vertragsschluss / Willenserklärung |
Relevanz
Die Trierer Weinversteigerung ist kein wirklich entschiedenes Urteil – dieser ausgedachte Schulfall wird jedoch gerne zur Veranschaulichung eines wesentlichen Meinungsstreits genutzt und kann daher als „Klassiker“ bezeichnet werden. Im Fokus steht dabei das Thema Vertragsschluss.
Sachverhalt
Der verträumte A wollte seinen weinliebhabenden Freund F in Trier besuchen. Da sich dieser auf einer Weinversteigerung befand, begab sich A zu den Räumlichkeiten des Auktionshauses. An der Tür hing ein Schild: „Heute Weinversteigerung“.
A trat sodann in den Raum, in welchem gerade ein in Italien ausgereifter Rotwein versteigert wurde. Als er F erblickte, winkte er ihm freudig zu. Das wurde vom Auktionator als Abgabe eines Gebots verstanden – A bekam deshalb den Zuschlag für den 2.500 € teuren Wein.
Problem
Fraglich ist nun, ob zwischen A und dem Auktionshaus tatsächlich ein Kaufvertrag über den Wein zustande gekommen ist. Dementsprechend stünde dem Auktionshaus ein Anspruch auf Kaufpreiszahlung i.H.v. 2.500 € gem. § 433 II BGB zu. Problembehaftet ist hierbei insbesondere die Willenserklärung des A.
Lösung
Grundsätzlich kommt ein Kaufvertrag durch Angebot und Annahme zustande, §§ 145 ff. BGB. (In Bezug auf Auktionen ist im Übrigen § 156 BGB zu erwähnen.) Angebot und Annahme sind jeweils Willenserklärung, die auf einen Vertragsschluss gerichtet sind, sich aufeinander beziehen und die essentialia negotii enthalten. Im hiesigen Fall war die „Willenserklärung“ des A jedoch mangelhaft, denn mit dem Winken wollte er keinen Vertrag schließen. Diese Handlung könnte jedoch unter Umständen dennoch als Willenserklärung gewertet werden. Hierfür müsste der objektive und subjektive Tatbestand einer Willenserklärung erfüllt sein.
Rein objektiv betrachtet durfte ein Dritter das Winken mit der Hand als Abgabe eines Gebots verstehen. Bei Auktionen ist diese Handlung allgemein ausreichend, um das vorherige Gebot zu übertrumpfen. Auch war nicht erkennbar, dass A nur dem F zuwinken wollte. Der objektive Tatbestand ist somit gegeben.
Fraglich ist allerdings, ob auch der subjektive Tatbestand vorliegt. In diesem sind vor allem der Handlungswille und das Erklärungsbewusstsein zu prüfen. Der Handlungswille stellt in diesem Fall kein Problem dar – vielmehr ist auf das Erklärungsbewusstsein einzugehen. Dieses umfasst das Bewusstsein, etwas rechtlich Erhebliches zu erklären. A wollte F zuwinken, jedoch dabei nichts rechtlich Erhebliches erklären. Es fehlt somit das Erklärungsbewusstsein. Die Folgen hiervon sind umstritten.
Willenstheorie
Die Willenstheorie versteht das Erklärungsbewusstsein als notwendigen Bestandteil einer Willenserklärung. Dadurch will sie insbesondere die Privatautonomie schützen. Fehlt das Erklärungsbewusstsein, kann hiernach keine Willenserklärung vorliegen. A hätte folglich mit dem Auktionshaus keinen Vertrag geschlossen und ein Anspruch gegen ihn bestünde nicht.
Erklärungstheorie
Die Erklärungstheorie fokussiert sich hingegen nicht auf die Privatautonomie, sondern auf den Verkehrsschutz. Hiernach soll dem Erklärenden, der „fahrlässig“ kein Erklärungsbewusstsein hat, sein Verhalten als Willenserklärung zugerechnet werden („potentielles Erklärungsbewusstsein“). Es geht folglich um die Frage, ob A hätte erkennen können und müssen, wie sein Verhalten von Dritten verstanden werden könnte.[1] A betrat den Raum durch eine Tür, an welcher ein Schild mit den Worten „Heute Weinversteigerung“ hing. Er hätte daher erkennen können und müssen, dass das Winken im fraglichen Raum als Abgabe eines Gebots missverstanden werden könnte. Ein Vertrag wäre hiernach zustande gekommen. A könnte jedoch nach der Erklärungstheorie seine Willenserklärung gem. § 119 I Alt. 2 BGB analog anfechten (unter Berücksichtigung eines Schadensersatzanspruches gem. § 122 BGB).
Stellungnahme
Im Ergebnis ist der Erklärungstheorie zu folgen. Dem Vertrauensschutz muss in solchen Fällen umfassend Rechnung getragen werden, was nach der Willenstheorie jedoch gerade nicht erfolgt. Zwar beachtet sie konsequent den Grundsatz der Privatautonomie – dabei verkennt sie allerdings, dass gerade die Erklärungstheorie dem Erklärenden die Möglichkeit gibt, das „versehentlich“ abgeschlossene Rechtsgeschäft zu erfüllen und damit die Gegenleistung zu erlangen. Er wird ferner dadurch geschützt, dass er seine Erklärung im Nachhinein anfechten kann. Dass der Erklärungsempfänger ggf. Schadenersatzansprüche geltend machen kann, lässt sich mit der Tatsache argumentieren, dass der Erklärende hätte erkennen müssen, wie sein Verhalten im konkreten Zeitpunkt von Dritten verstanden wird. A hat daher mit dem Auktionshaus wirksam einen Kaufvertrag über den Wein geschlossen. Erfolgt keine Anfechtung, hat das Auktionshaus gegen ihn einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises i.H.v. 2.500 € gem. § 433 II BGB.
Fazit
Der Streit zwischen Willens- und Erklärungstheorie wird vornehmlich im ersten Semester gelegentlich geprüft. Nichtsdestotrotz muss eine saubere Subsumtion sowie die Folgefrage der analogen Anfechtung auch in späteren Semestern beherrscht werden.
Entscheidung
vgl. auch BGH, 07.06.1984 – IX ZR 66/83 (BGHZ 91, S. 324)
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[1] BGH, 07.06.1984 – IX ZR 66/83, BGHZ 91, S. 324.