
Notwehr gegen Notwehr – Zur Rechtswidrigkeit eines EtBI-Angriffs
Strafrecht AT / Notwehr / Erlaubnistatbestandsirrtum |
Relevanz
Der folgende Sachverhalt beinhaltet durchaus unkonventionelle Probleme der Notwehr. Bereits der Titel lässt vermuten, dass es auf eine Kombination aus Notwehr und Erlaubnistatbestandsirrtum hinauslaufen wird – dabei liegt der Fokus ganz klar auf der Frage, wie die Notwehr gegen eine vermeintliche Nothilfe zu bewerten ist. Ausführungen zur Behandlung der Theorien im Erlaubnistatbestandsirrtum haben wir nicht mit einbezogen.
Sachverhalt
F lernte in einer Bar den jungen und attraktiven Herrn O kennen, den sie nach ausgiebigen Gesprächen auch auf einen Kaffee zu sich in die Wohnung einlud. Vom Eintreffen der beiden wurde allerdings der Ehemann (T) der F geweckt, der den O lautstark zum Verlassen der Wohnung aufforderte. Nachdem O die Wohnung verlassen hatte, fingen F und T an, heftig zu streiten.
Die Szene entwickelte sich folgendermaßen: Da T mittlerweile Hunger bekommen hatte und F weinend auf dem Boden saß, begab sich T in die Küche, um sich ein Schinkensandwich zu machen. Hierfür holte er sich ein entsprechendes Messer aus einer Schublade. O, der die Laute des Streits und das Weinen der F im Hausflur gehört hatte, klingelte derweilen an der Tür, da er dachte, T vergehe sich gerade an F. Als dieser mit dem Messer in der Hand die Tür öffnete, begann O auf T mit Faustschlägen einzuprügeln, um den vermeintlichen Angriff auf F abzuwehren. T, der sich schützend die Hände vor das Gesicht hielt und vom körperlich überlegenden O zurückwich, wusste sich nicht anders zu helfen, als dem O schließlich das Messer in den Bauch zu stechen. Dabei nahm er billigend in Kauf, dass O daran sterben könnte, was dieser auch kurze Zeit später tat.
Problem
Die Frage nach der Strafbarkeit des T begegnet der Schwierigkeit, dass T sich dem Grunde nach nur wehren wollte, während O die F verteidigen wollte. Es treffen daher zwei an sich rechtstreue Täter aufeinander.
Lösung
Fraglich ist, ob T durch Notwehr gerechtfertigt ist. Hierfür müsste er sich gegen einen gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff wehren. Die Einordnung der Handlung des O als gegenwärtiger Angriff ist unproblematisch. Vielmehr kommen Zweifel auf, ob der Angriff rechtswidrig erfolgt ist.
Betrachtet man die hypothetische Strafbarkeit des O (Tote sind nicht zu prüfen), so würden sich an dem gleichen Prüfungspunkt Probleme eröffnen: War die Handlung des O eventuell gem. § 32 StGB gerechtfertigt? Die Antwort hierauf muss „Nein“ lauten, denn T verging sich in Wirklichkeit gar nicht an F. Vielmehr stellte sich O fälschlicherweise Umstände vor, die bei tatsächlichem Vorliegen eine Notwehrsituation begründen würden. Die Folge hieraus: O unterlag einem Erlaubnistatbestandsirrtum, der in der Rechtsfolge die Schuld entfallen lässt.[1] Konsequenterweise entfällt aber nicht die Rechtswidrigkeit. Insofern könnte man, ähnlich wie das BSG in der zugrundeliegenden Entscheidung, der Ansicht sein, dass ein rechtswidriger Angriff vorlag.
Dementgegen könnte man aber auch die Auffassung vertreten, dass „rechtswidriger“ Angriff nicht unbedingt „rechtswidrig“ im strafrechtlichen Sinne bedeutet. Vielmehr könnte man meinen, dass ein objektiv pflichtwidriges Verhalten notwendig ist, dass dem Handelnden besonders vorzuwerfen ist. Ein Indiz hierfür wäre die Vermeidbarkeit eines Irrtums. O aber wollte sich rechtstreu verhalten und die F vor möglichen weiteren Verletzungen bewahren. Er verhielt sich daher nicht objektiv pflichtwidrig – der Angriff wäre hiernach nicht rechtswidrig.
Man könnte aber auch den drohenden Erfolgsunwert (die Verletzung des T) dahingehend verstehen, dass der Angriff des O rechtswidrig war.
Die Ansichten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Anstatt aber einen Streitentscheid zu führen, fragen wir uns: Was ist die jeweilige Folge?
Nimmt man an, dass sich T eines rechtswidrigen Angriffs erwehrte, müsste man noch die Erforderlichkeit und Gebotenheit seiner Abwehrhandlung prüfen. Da T körperlich unterlegen war und ein Ausweichen nicht erfolgsversprechend war, gehen wir von der Erforderlichkeit des Messerstichs aus. Fraglich ist daher nur, ob der Stich auch geboten war. Hier könnte die Fallgruppe des „Erkennbar schuldlos Handelnden“ einschlägig sein. Das könnte man zwar verneinen – im Ergebnis macht dies aber keinen Unterschied. Geht man davon aus, dass T hätte erkennen müssen, in welchem Irrtum sich O befand, hätte dies zur Konsequenz, dass T nur im Rahmen des „Ausweichen-Schutzwehr-Trutzwehr“ Konzepts reagieren durfte – was er aber auch getan hat. Damit war seine Handlung geboten und folglich im Ergebnis auch nach § 32 StGB gerechtfertigt. Eine Strafbarkeit des T entfällt daher, wenn wir davon ausgehen, dass die Handlung des O rechtswidrig i.S.v. § 32 StGB war.
Gehen wir nun aber davon aus, dass sie eben nicht rechtswidrig war (nach der Lehre des objektiv pflichtwidrigen Verhaltens). T wäre dann nicht nach § 32 StGB gerechtfertigt. Allerdings müssen wir uns vor Augen halten, dass T davon ausging, von O rechtswidrig angegriffen zu werden. Damit stellte er sich einen Umstand vor, der ihn bei tatsächlichem Vorliegen rechtfertigen würde. Folglich unterläge er einem Erlaubnistatbestandsirrtum – genauso wie O. Im Ergebnis würde daher seine Schuld entfallen und er wäre damit nicht strafbar.
Fazit
Das Ergebnis zeigt, dass selbst bei unterschiedlicher Betrachtung der Rechtswidrigkeit nicht unbedingt eine unterschiedliche Strafbarkeit gegeben ist. Ein Streitentscheid ist an dieser Stelle daher faktisch gesehen nicht brauchbar. Dieser kuriose Fall eines dem Erlaubnistatbestandsirrtum unterliegenden Nothilfeangreifers zeigt somit, dass die Gedankenstränge der theorienumwobenen strafrechtlichen Dogmatik scheinbar grenzenlos sein können.
Entscheidung
Angelehnt. an: BSG, Urteil vom 25.03.1999 – B 9 VG 1/98 R (NJW 1999, S. 2301 ff.).
Tiefergehende Besprechung des Falls: Simon, Eric: JuS 2001, S. 639 ff.
[1] Zur Aufarbeitung der Hintergründe des Erlaubnistatbestandsirrtums: MüKoStGB/Joecks/Kulhanek StGB § 16 Rn. 119.